Was Klimaflüchtlinge bewegt und worauf wir uns vorbereiten müssen

Das Institut für Umwelt, Friede und Entwicklung (IUFE) beschäftigt sich bereits seit mehreren Jahren mit dem Thema Klimawandel und Migration. Vor kurzem sind zwei neue Publikationen zu Push- und Pull-Faktoren der umwelt- und klimabedingten Migration sowie zu aktuellen Szenarien der Migration aufgrund von Klimawandelfolgen veröffentlicht worden.

Kinderhände

Laut UNHCR waren 2017 etwa 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Aufgrund eines fehlenden Anerkennungsstatus ist dabei nicht klar, wie hoch der Anteil an Klimaflüchtlingen ist. Der Klimawandel ist zwar selten alleiniger Auslöser für Migration, dennoch wird Klimaflucht bzw. Umweltmigration immer stärker sichtbar. Um dieses komplexe, multikausale Phänomen besser verständlich zu machen, veröffentlicht das Institut für Umwelt, Friede und Entwicklung (IUFE) regelmäßig Beiträge als Diskussionsbasis für Politik und Zivilgesellschaft. Die zwei aktuellsten Publikationen stellen wir Ihnen hier vor.

Push- und Pull-Faktoren der Migration

Gemäß Everett S. Lee (1969) migrieren Menschen aufgrund von

(1) negativen, abstoßenden Aspekten in einer Abwanderungsregion bzw. -gesellschaft (Push) sowie

(2) positiven, anziehenden Aspekten in einer Zielregion bzw. -gesellschaft (Pull).

Die negativen Aspekte bezeichnete er als Push-, die positiven als Pull-Faktoren. Bei schleichenden Umweltveränderungen, wie z. B. bei einer Desertifikation werden beide Faktoren aktiv. Treten Naturkatastrophen ein, kann es vorkommen, dass alleinig Push-Faktoren zur Wirkung gelangen.

Die vier häufigsten Ursachen für umweltbedingte Wanderungsbewegungen (= Push-Faktoren) sind:

  • hydrometeorologische Extremereignisse (wie Überflutungen, Dürre, etc.)
  • permanenter, signifikanter Verlust des Staatsterritoriums (z. B. durch Meeresspiegelanstieg)
  • bewaffnete Konflikte um knapper werdende Ressourcen
  • schleichende Verschlechterung der Umweltbedingungen und deren Folgen

 Umweltbedingungen in Abwanderungsregionen können sich in unterschiedlichen Bereichen verschlechtern. Das können beispielsweise Verunreinigungen sein, wie sie durch radioaktive Verseuchung oder toxische Unfälle auftreten können. Die Umwelt kann auch unter den Folgen von Konflikten (Minenfelder, Landschaftsverbrauch) leiden. Durch den Klimawandel beeinflusst bzw. beschleunigt wird auch die Degradation, also die Wüstenbildung, die Bodenverschlechterung oder der Wasserschwund. Naturkatastrophen, die durch Extremwetterereignisse ausgelöst werden, können ebenfalls in Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen. Hinzu kommen noch Erdbeben, Vulkanausbrüche und andere Katastrophen.

Der Klimawandel steht in engem Zusammenhang mit der Verwundbarkeit bzw. der Anpassungsfähigkeit einer Abwanderungsregion bzw. -gesellschaft. Er kann ein Multiplikator von Migration sein.

Pull-Faktoren in Zielregionen können unterteilt werden in: 

  • Ökonomie (Wohlstand, Unabhängigkeit, Verdienstmöglichkeiten, etc.)
  • Ökologie (intakte Natur, ausreichend Ressourcen, etc.)
  • Gesellschaft/Soziales (persönliche Sicherheit, adäquate Sozialsysteme, Bildungschancen, etc.)
  • Politik (stabile Verhältnisse, Rechtssicherheit, etc.)

Die Entscheidung für oder gegen eine Migration hängt auch ab von verfügbaren finanziellen Ressourcen (Ersparnissen), persönlichen Faktoren wie Bildungsgrad oder Know-how und vorhandenen sozialen Netzwerken in der Zielregion.

Aktuelle Szenarien für klimawandelbedingte Migration

Der Großteil der betroffenen Personen bewegt sich – zumindest heute – innerhalb von Staaten (= Binnenflucht). Bereits heute und in Zukunft verstärkt sind folgende Länder gefordert (nach Leregger, 2015):

  • Pazifischer Raum: Carteret Inseln, Kiribati, Tuvalu
  • Afrika: Äthiopien, Mali, Senegal
  • Asien: Bangladesch, Indonesien, Malediven, Myanmar, Pakistan, Philippinen, Thailand, Vietnam

  Die Szenarien für globale Migrationsdynamiken aufgrund von Klimawandelfolgen weisen größere Abweichungen auf. Die Schätzungen für die Zahlen migrierter Menschen bis zum Jahr 2050 liegen zwischen 150 und 700 Mio. Menschen. Grund für diese Abweichungen sind zum einem die relativ schwer ermittelbaren Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Umweltveränderungen und Migrationsdynamiken. Zum anderen erschwert eine dürftige Datengrundlage die Berechnungen und die Verwendung unterschiedlicher Begriffe („environmental migrants“, „climate-induced migration“, „environmental refugees“) und unterschiedlicher Quellen wirkt verzerrend.

Der Klimawandel stellt jedenfalls ein steigendes Sicherheitsrisiko dar. Das zeigen auch die historischen Entwicklungen der jüngsten Zeit:

  • Kriegerische Auseinandersetzungen in Darfur (West Sudan) ab 2003, als 1. Klimakrieg bezeichnet
  • Klimawandel als ein Auslöser des Arabischen Frühlings ab 2010 (betroffene Gebiete waren Nordafrika und Naher Osten)
  • Bürgerkrieg in Syrien ab 2011, dem eine jahrelange Dürreperiode vorher-ging und der 20 Mio. Menschen zur Flucht zwang
  • klimawandelbedingte Austrocknung des Tschadsees in der Sahelzone (Tschad, Kamerun, Nigeria, Niger)
Skulptur in Stuttgart

Die beste präventive Maßnahme gegen klimawandelbedingte Migration ist der Klimaschutz. Im Sinne einer proaktiven Anpassung an die Folgen des Klimawandels und zur Verminderung/Bewältigung eventueller Migrationsströme empfiehlt die Österreichische Strategie zur Anpassung an den Klimawandel die Initiierung von Studien zu den Entstehungsmechanismen von Migrationsbewegungen nach Österreich bzw. Europa. Wie Klimaflüchtlinge in Österreich unterstützt werden können, zeigen die Projekte EthniCityHeat (Vulnerability of and adaption strategies for migrant groups in urban heat environments) und CCCapMig (Climate change adaptation and protection from natural hazards: capacity building for people with migration background in Austria). Sie fokussieren auf die Auswirkungen von Hitze und Naturgefahren auf Personen mit Migrationshintergrund. (MO, Februar 2019)