Der Gams geht es an den Kragen

Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit des Universitätslehrgangs Jagdwirtin/Jagdwirt widmete sich Andrea Ch. Pühringer den künftigen Herausforderungen für Gämse im Alpenraum. Nicht nur der Mensch spielt dabei eine kritische Rolle, sondern auch die Auswirkungen der Klimaerwärmung haben massive Auswirkungen auf Gämse und führen zu notwendigen Anpassungsmaßnahmen für die Huftiere. 

Alpengämse sind sensible Huftiere, die in Gebirgswäldern und exponierten Lagen entlang des Alpenbogens leben. In Österreich ist der Bestand mit etwa 180.000 Tieren am höchsten (gefolgt von der Schweiz mit 90.000, Frankreich 80.000, Italien 70.000 und Deutschland und Slowenien jeweils 11.000) (Quelle: Die Gämse in der Schweiz). Gämse sind sehr anpassungsfähige Tiere, sie trotzten beispielsweise der Eiszeit, indem sie neue Lebensräume gesucht und erobert haben. Sie sind auch wahre Meister in der Energieoptimierung durch saisonale Veränderungen des Nahrungsspektrums und Veränderungen der Decke (Gamsdecke = Gamsfell). Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte beanspruchen ihre Lebensräume jedoch immer extremer: Zum einem dringt der Mensch durch Freizeitaktivitäten und Infrastrukturprojekte immer weiter in ihre Habitate vor. Zum anderen beeinflusst die Klimaerwärmung die Nahrungsgrundlage der Gämsen durch Veränderungen der Flora. Auch der Verlauf von Erkrankungen bei den Tieren hat sich durch den Klimawandel entscheidend verändert – leider oft zum Negativen.

Verkarstungen im Bereich der nördlichen und südlichen Kalkalpen werden immer häufiger. Dies bedeutet vermehrten Trockenstress für den Bewuchs, eine Veränderung der Pflanzenartenvielfalt und somit einen Verlust an wertvollen Äsungspflanzen für die Gämse. In anderen, weniger von Verkarstungsprozessen betroffenen Gebieten, wandert hingegen der Vegetationsgürtel immer weiter nach oben und verändert so die Gamslebensräume. Trotz einer gewissen Anpassungsfähigkeit der Tiere könnte sich eine veränderte Nahrung auf die Kondition der adulten Tiere und auf den Nachwuchs (durch Veränderung der Milchqualität) negativ auswirken. Beispielsweise erschwert eine frühere Verholzung von Kräutern die Äsung zur Zeit des Nachwuchses. Auch die Verdrängung von Süß- und Sauergräsern, die etwa 80 % der Äsung ausmachen, durch Sträucher, Laub- und Nadelbäume ist sehr problematisch. Es besteht die Gefahr der Verinselung einzelner Bestände. Diese Verinselungen gehen einher mit einer genetischen Verarmung und Schwächung der Abwehrkräfte der Tiere.

Das Immunsystem der Gämse ist aber auch ohne Gen-Erosion durch den Klimawandel verstärkt gefordert. Schon alleine höhere Lufttemperaturen bedeuten Stress für die Tiere und damit negative Auswirkungen auf deren Abwehrsystem. Kommen noch knappe Nahrungsbedingungen hinzu, werden vorhandene Ressourcen eher für die Erhaltung von Lebensprozessen und die Reproduktion bereitgestellt als für die Entwicklung einer Immunantwort. Gastrointestinalen Nematoden (Fadenwürmer) und Krankheiten wie der Gamsblindheit oder der Blauzungenkrankheit werden Tür und Tor geöffnet. Zu bedenken gilt auch, dass Vektoren wie Mücken oder Fliegen von den klimatischen Veränderungen profitieren. Sie können höhere Lagen erreichen und leben länger. Eine Folge davon können gehäuft auftretende Seuchenzüge sein, wie beispielsweise 2006 die durch Fliegen übertragene Gamsblindheit in den Bezirken Murau, Judenburg und Liezen.

Speziell in Zeiten des Klimawandels müssen daher Gamslebensräume besonders sorgfältig geschützt werden. Es gilt verbliebene Lebensräume zu bewahren, u. a. durch ökologische Raumplanung sowie durch Zusammenarbeit mit Wald- und Wildtierökologen und dem Tourismus. Der Stress der Tiere sollte nicht unnötig erhöht werden. Dies kann geschehen durch eine Optimierung der Verläufe von Wanderwegen, Schitourenstrecken oder Flugrouten. Gut beschilderte und gepflegte Wege halten Besucherinnen und Besucher eher davon ab, die Habitate der Gämsen zu betreten. Eine Beruhigung des Luftraumes, weniger Helikopter-, Varianten- und Tourenschilauf und kein nächtlicher Einsatz von Beschneiungsanlagen sind weitere Faktoren zum Schutz der Gamshabitate. Generell sind Regulationsmechanismen im Tourismus sehr zielführend. Eine ebenso große Bedeutung hat die Krankheitsvorsorge und die Senkung des Infektionsrisikos durch gezieltes Entfernen von erkranktem Wild. Das Wissen und Beobachtungen der Jägerschaft vor Ort sind sehr wertvoll für die künftige Gestaltung der Lebensräume. Kombiniert man dieses lokale Wissen mit intensiver Aufklärungsarbeit und bindet man alle Beteiligten ein, könnten die „Krägen“ der Gämse bewahrt werden. (September 2017)